Tiere sterben, Menschen verhungern

Während der von fossilen Energien befeuerte Krieg Russlands gegen die Ukraine weiterhin tobt, entwickelt sich auch in anderen Teilen der Welt eine humanitäre Katastrophe von unabsehbarem Ausmaß. Es wäre sofort möglich zu helfen, doch stattdessen wird die Tierindustrie geschützt.

Kriege und politische Krisen gehen oft mit Hunger einher – und umgekehrt. Vor nicht einmal zwei Monaten wurde die Ukraine von russischen Truppen überfallen. Der Beginn des Kriegs war sehr verstörend und schockierend. Bislang wurde tausenden Menschen das Leben genommen und bis zu 10 Millionen Menschen wurden vertrieben. Klar war jedoch auch, dass weitere globale Nachwirkungen im Raum standen und es bei den Kämpfen vor Ort nicht bleiben würde.

Die Ukraine ist von weiten Steppen, Wiesen und satten Feldern geprägt. Diese sind nicht nur schön anzusehen, sondern spielen für die Ernährung von zahlreichen Ländern eine wichtige Rolle. Denn in der Ukraine und angrenzenden Gebieten sind die Erträge aus der Landwirtschaft in der Regel sehr hoch.

Die Ukraine exportiert jährlich etwa 52.000.000 Tonnen an Getreide.5 Davon gingen 2020 gerade einmal 7.290.000 Tonnen an die Europäische Union.4 Die restlichen 44.710.000 Tonnen wurden an andere Länder verkauft. Darunter vor allem solche, die weniger wohlhabend sind oder ihrerseits von Konflikten und Naturkatastrophen geplagt werden.1,6

Hunger im Ausland…

Vor diesem Hintergrund war die Versorgung mit Nahrungsmitteln in vielen Ländern in Afrika und Westasien jedoch mindestens schon seit Beginn der Pandemie immer schwieriger geworden. Auch für Getreide sind die Handelspreise immer höher geworden, sie sind so hoch wie seit 14 Jahren nicht.2

Der Krieg ist gerade jetzt eine extreme Belastung für Länder, die teilweise schon am Abgrund stehen.1,2,6 Besonders wichtig war die Ukraine zum Beispiel für Jemen, Ägypten, Tunesien, Kenia oder Afghanistan – für sie sind sowohl die Ukraine als auch Russland eine wichtige Quelle für Lebensmittel, wenn vor Ort die Strukturen und Flächen für weitere Landwirtschaft nicht gegeben sind.1,2,3

Eine Person mit ihrem Kind, Äthiopien

Algerien importiert jährlich etwa 13.000.000 Tonen Getreide.5 Im Land lag die Niederschlagsmenge für Dezember und Januar bei nur einem Drittel der normalen Menge. Gleichzeitig gibt es eine starke Inflation, wodurch der Wert der Landeswähung um mehr als 8 % gesunken ist.2

Die Ukraine und Russland machen dort ein Drittel2 der Importe aus. Durch den Krieg fallen nun also 4.500.000 Tonnen an Getreide weg, die für die Versorgung der Menschen dort benötigt werden und nicht sofort ersetzt werden können. Da das Land schon vorher immer stärker von Importen abhängig war, könnte es dazu kommen, dass Teile der Bevölkerung keinen Zugang zu Grundnahrungsmitteln mehr haben.2

Mitunter verschärft der Krieg in der Ukraine auch nur Umstände, die von vornherein katastrophal waren. So beziehen etwa Somalia, Äthiopien oder Kenia mehr als 90 % ihres Weizens aus der Ukraine und Russland. Das International Rescue Commitee schreibt, dass schon vor dem Krieg mehr als vier Millionen Menschen nicht mehr ausreichend mit Essen versorgt werden konnten.6

…Verschwendung in Deutschland

Wie bereits erwähnt, gibt es in Deutschland mehr als genug Getreide für die Versorgung aller Menschen: in Deutschland werden jedes Jahr etwa 43.268.000 Tonnen an Getreide vebraucht.8 Die Importe aus der Ukraine spielen auch eine Rolle, sind jedoch wesentlich weniger bestimmend. Der Selbstversorgungsgrad liegt in Deutschland außerdem bei mehr als 100 %.8

In der Tierindustrie werden jährlich mehr als 750 Millionen Tiere getötet.7 Um sie alle zu ernähren und „nutzbar“ zu machen, werden vorher gewaltige Mengen an Energie benötigt.12,15 Deswegen werden mindestens 25.000.000 Tonnen – und damit mehr als 60 % – in die Tierhaltung gesteckt.8 Nur etwa 20 % des Getreides werden dafür benötigt, direkt Essen für Menschen herzustellen.8

Ein Kraftfutter-Werk von AGRAVIS

Das setzt die Situation in vielen gefährdeten Ländern in ein gänzlich anderes Verhältnis. Wieso wird in Deutschland der Großteil an Nahrungsmitteln an Tiere verfüttert, während in vielen Ländern die Nahrungsversorgung und Importe kollabieren?

Schnell hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft entschieden, dass die Anzahl der gehaltenen Tiere aber nicht sinken soll. Um die „Versorgungssicherheit“ dennoch zu sichern, sollen aber Flächen für die Nutzung freigegeben werden, die ökologisch geschützt oder als Ausgleich funktionieren sollen.9,10 In einem Interview mit der taz gab sich der Vorsitzende des Bauernverbands stur und behauptete, dass das Futter „indirekt Menschen ernähren“ würde.

Dabei unterschlägt er, dass sich diese gewaltigen Mengen an Nahrungsmitteln auch anders einsetzen ließen, dass die Tierindustrie wesentlich für die Klimakrise mit verantwortlich ist und dass pflanzliche Lebensmittel mindestens so vollwertig sind wie tierische.

Die offensichtliche Lösung

Die Tatsache bleibt, dass die Herstellung von Tierprodukten extrem ineffizient ist. Die Energie, die als Futter an die Tiere gelangt, wird am Ende nur zu einem Bruchteil15 gespeichert. Fast alle Energie wird von den Tieren verbraucht oder geht verloren. Das bedeutet, dass für eine bestimmte Energiemenge ein Vielfaches an Futter benötigt wird. Dieser Umwandlungsfaktor liegt Studien15 zufolge bei etwa 11 %. Das heißt, dass fast 90 % der verfügbaren Energie gar nicht genutzt wird.

Was wäre, wenn wir Getreide nicht in der Tierindustrie verbrauchen würden? Statt der benötigten 25.000.000 Tonnen bräuchte man nur etwa 3.000.000 Tonnen an Getreide. Das bedeutet, dass mindestens 20.000.000 Tonnen frei werden. Dies wäre mehr als genug, um die ausfallenden Exporte zu ersetzen. Die Mengen würden für mehrere Länder, z.B. für Algerien, Libyen, Tunesien und Afghanistan zusammen, ausreichen.

Es stimmt außerdem nicht, dass in Deutschland nur wenige Flächen für den Anbau von pflanzlichen Lebensmitteln geeignet seien. In Deutschland sind nur etwa 0,3 % der Flächen sogenannte Lichtweideflächen, auf denen nur Tierhaltung, aber keine Acker möglich sind.13

Hinzu kommt, dass mit einem Ausstieg aus der Tierhaltung deutlich weniger Flächen genutzt werden müssen. Möglicherweise könnten die dadurch frei werdenden Flächen dafür verwendet werden, Menschen in Not zu versorgen oder die Ukraine längerfristig mit Lebensmitteln zu beliefern.12,13

Dass Veränderungen in der Landwirtschaft dringend notwendig sind, haben auch das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, verschiedenste Wissenschaftler:innen oder sogar die Entwicklungsministerin Svenja Schulze erkannt.14,16,17

Fazit

Die Tierhaltung ist der entscheidende Faktor, folglich muss sie sofort reduziert werden. In vielen Ländern wird es zu Hungersnöten und Konflikten kommen, wenn die Verluste durch den Krieg nicht ausgeglichen werden. Der Ausstieg aus der Tierhaltung würde das ermöglichen und ist darüber hinaus essentiell, wenn die Klimakrise und die Zerstörung wichtiger Ökosysteme aufgehalten werden sollen.

Anstatt Millionen Menschen vor dem Hungertod zu retten, halten die Bundesregierung und die Tierindustrie an ihrem Geschäft fest. Dass dazu auch noch ökologische Flächen geopfert werden – nur um das Töten nicht reduzieren zu müssen – ist zynisch und mörderisch.

Diese Krise macht uns einmal mehr auf schmerzhafte Weise klar, wie wichtig die Abkehr von dem fossilen Wahnsinn und unserem überkommenen und zerstörerischen Ernährungssystem wirklich ist. Es ist Zeit zu rebellieren!!

Quellen

  1. Höhere Preise für Europa, Hunger für Afrika“ | Spektrum (11.03.22) | https://www.spektrum.de/news/ukraine-hoehere-preise-fuer-europa-hunger-fuer-afrika/1997932
  2. War in Ukraine and drought at home: A perfect storm in the Maghreb | Middle East Institute (21.03.22) | https://www.mei.edu/publications/war-ukraine-and-drought-home-perfect-storm-maghreb
  3. Krieg in der Ukraine könnte zu weltweiter Hungersnot führen“ | WDR (14.03.22) | https://www1.wdr.de/nachrichten/ukraine-krieg-russland-hungersnot-weltweit-100.html
  4. Cereals Trade | Europäische Kommission über Eurostat/COMEXT (18.03.22) | https://agridata.ec.europa.eu/extensions/DashboardCereals/CerealsTrade.html
  5. FAOSTAT: Crops and livestock products | Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) | https://www.fao.org/faostat/en/#data/TCL
  6. 3 ways the Ukraine conflict will drive up hunger in other crisis zones“ | Rescue.org (21.03.22) | https://www.rescue.org/article/3-ways-ukraine-conflict-will-drive-hunger-other-crisis-zones
  7. Meat production: Number of animals slaughtered | Our World in Data | https://ourworldindata.org/meat-production#number-of-animals-slaughtered
  8. Versorgungsbilanz für Getreide 2020/21. Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (2021) | https://www.ble.de/DE/BZL/Daten-Berichte/Getreide-Getreideerzeugnisse/getreide-getreideerzeugnisse_node.html
  9. BMEL plant keine Tierzahlreduktion, um Futtergetreide in Nahrungsmittelschiene umzuleiten“ | topagrar online (14.03.22) | https://www.topagrar.com/management-und-politik/news/bmel-plant-keine-tierzahlreduktion-um-futtergetreide-in-nahrungsmittelschiene-umzuleiten-13050060.html
  10. Ukrainekrieg: Ökologische Vorrangflächen werden zur Futternutzung freigegeben | Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (30.03.22) | https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/eu-agrarpolitik-und-foerderung/ukraine-oekologische-vorrangflaechen.html
  11. Tempolimit und Fleisch: Lindner gegen Diskussion in Krise“ | Zeit Online (02.04.22) | https://www.zeit.de/news/2022-04/02/tempolimit-und-fleisch-lindner-gegen-diskussion-in-krise
  12. We need a food system transformation – in the face of the Ukraine war, now more than ever | PIK Potsdam (18.03.22) | https://doi.org/10.5281/zenodo.6366131
  13. Mythos: Die Tierhaltung ermöglicht in Deutschland vielerorts erst die Erzeugung von Lebensmitteln. | landwirtschaft.jetzt | https://landwirtschaft.jetzt/de/mythos-3/
  14. „‘Food Over Feed’: War in Ukraine Highlights Need for Dietary Change“ | Sentient Media (24.03.2022) | https://sentientmedia.org/food-over-feed-war-in-ukraine-highlights-need-for-dietary-change/
  15. Energy and protein feed-to-food conversion efficiencies in the US and potential food security gains from dietary changes | Environmental Research Letters (2016) | https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/11/10/105002
  16. Agrarökonom: Warum wir gerade jetzt weniger Fleisch essen sollten“ | Peter Carstens in Geo (29.03.22) | https://www.geo.de/natur/nachhaltigkeit/agraroekonom-erklaert–warum-wir-weniger-fleisch-essen-sollten-31740396.html
  17. Svenja Schulze: Entwicklungsministerin fordert Fleisch-Verzicht – Twitter eskaliert!“ | news.de (30.03.22) | https://www.news.de/politik/856202820/entwicklungsministerin-svenja-schulze-fordert-fleisch-verzicht-twitter-eskaliert-weil-deutsche-weniger-schweinefleisch-essen-sollen/1/
  18. Meat supply per person, 1961 to 2017 | Our World in Data | https://ourworldindata.org/grapher/meat-supply-per-person?tab=chart&country=DEU~DZA~YEM~IRQ
  19. Trotz Ukraine-Krieg: Warum das Mehl bei uns nicht ausgeht“ | BR24 (11.03.22) | https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/warum-das-mehl-bei-uns-nicht-ausgeht,SzmbnyN
  20. https://www.flickr.com/photos/13476480@N07/51928557007
  21. https://flic.kr/p/2n7Kpdw
  22. https://www.flickr.com/photos/un_photo/6023107250
  23. https://media.agravis.de/im/generic/s,x,1920/pboxx-pixelboxx-83669/Header_KW_Leer.jpg
  24. https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/87/International_Mine_Action_Center_in_Syria_%28Aleppo%29_05.jpg